Streit in der AfD: Wie viel völkisches Denken darf’s denn sein?
In der AfD will ausgerechnet Maximilian Krah die völkische Ausrichtung der Partei beenden und hat damit einen heftigen internen Streit entfacht. Alice Weidel spricht derweil im Bundestag vom „ethnischen Volksverständnis“, das dem Grundgesetz zugrunde liege. Das halten Staatsrechtler und selbst ihr Parteifreund Krah für verfassungsfeindlich.

Gerade erst hat sich die AfD mit einem neuen Kodex Verhaltensregeln gegeben – doch von Mäßigung keine Spur. Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel griff in der Generaldebatte im Bundestag am Mittwoch pauschal Menschen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak an. Auch die, die einen deutschen Pass haben, sind für sie ein Problem:
„Die Zahl der Einbürgerungen stieg im letzten Jahr allein um 50 Prozent auf den Rekordwert von 300.000 Einbürgerungen. Mehr als ein Viertel der eingebürgerten: Syrer. 2026, also im nächsten Jahr, könnten mehr als eine Million Syrer, Iraker und Afghanen einen deutschen Pass einfordern, sogar per Mausklick, wie wir gerade erfahren durften. Der deutsche Pass sollte aber eine Auszeichnung sein und kein Ramsch-Artikel! Massenhafte Einbürgerung transformiert nicht nur das Staatsvolk. Zugleich werden dauerhafte Ansprüche auf Sozialleistungsbezug und Familiennachzug eingebürgert. Importierte Konflikte, inkompatible Kulturen, Religionskriege und geteilte Loyalitäten. Und nicht zuletzt die hohe Kriminalitätsbelastung bestimmter Bevölkerungsgruppen, die sie so nie mehr loswerden.“
Weidels pauschalen Angriff gegen Menschen mit Migrationshintergrund stützt sich offenbar auf eine völkische Ideologie. Als Friedrich Merz im zweiten Wahlgang zum Bundeskanzler gewählt wurde, sagte Weidel im Mai in der Erwiderung auf dessen Regierungserklärung einen Satz, der unscheinbar klingt, auch kaum von Medien aufgenommen wurde, in dem jedoch die Gefährlichkeit dieser Ideologie liegt:
„Ein ethnischer Volksbegriff ist nicht grundgesetzwidrig, denn das Grundgesetz selbst legt ihn zugrunde“.
Auf den „ethnischen Volksbegriff“ beziehen sich auch die völkischen Ideologen, die einen „Bevölkerungsaustausch“ erkennen wollen und in Bezug auf deutsche Staatsbürger auch „Passdeutsche“ von anderen Deutschen unterscheiden. In der AfD tobt ein Streit darum, was das Staatsvolk ausmacht. Die völkische Ideologie entspringt dem Trugbild der Homogenität eines Staatsvolkes, die erhalten oder wiederhergestellt werden müsse. „Remigration“ ist in dieser Ideologie ein Funktions- und Tarnbegriff. Die Partei befürchtet offenbar, dass das Konzept der „Remigration“ für ein mögliches Verbotsverfahren entscheidend werden könnte. CORRECTIV hat diesen Zusammenhang im Januar hier erklärt.
Mehrere Gerichte haben im vergangenen Jahr eine klare Positionierung vorgenommen, dass „Remigration“ verfassungsfeindlich sei, sobald es Staatsbürger einbezieht. Vergangene Woche wurde der Begriff auf einer Fraktionsklausur der AfD gestrichen. Und ausgerechnet der schillernde AfD-Politiker Maximilian Krah hat vor kurzem eine Debatte innerhalb der Partei entfacht.
Staatsrechtler: „Aussage von Frau Weidel lässt sich rechtlich nicht halten“
Alice Weidel bewegt sich mit ihren Äußerungen nach Ansicht von Rechtsexperten in eine verfassungsfeindliche Richtung.
Der Staatsrechtler Markus Ogorek von der Universität Köln hält Weidels Satz für problematisch: „Die Aussage von Frau Weidel lässt sich rechtlich nicht halten. Parteien, die in ihrer Kommunikation – auch nur durch Mitglieder oder Abgeordnete – das deutsche Volk nach ethnischen Kriterien bemessen wollen, sind nach der Rechtsprechung des OVG Münster aller Voraussicht nach in verfassungsfeindlicher Weise tätig.“ Dies, so Ogorek gelte jedenfalls dann, wenn die „Partei innerhalb der Gruppe der deutschen Staatsangehörigen nach der ethnischen Herkunft differenziert und dafür eintritt, dass Deutsche mit Migrationshintergrund von bestimmten staatsbürgerlichen Rechten ausgeschlossen werden sollen.“
Kyrill Schwarz, Juraprofessor aus Würzburg, bestätigt diese Einschätzung: „Die Aussage von Frau Weidel ist so nicht zutreffend; das Grundgesetz geht davon aus, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht und meint damit das deutsche Volk; nach Art. 116 GG ist Deutscher jeder, der die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Nach welchen Kriterien diese aber begründet wird, ist verfassungsrechtlich gerade nicht vorgegeben, sondern eine politische Entscheidung, die Abstammungsregeln ebenso gestattet wie Geburtsort oder Erwerb nach anderen Voraussetzungen. Ein ethnischer Volksbegriff mag eine gewisse kulturelle Homogenität insinuieren; ist aber der Verfassung nicht zu entnehmen.“
Richter haben begründet, wann solche Aussagen verfassungsfeindlich sind
Im Mai 2024 hatte das Oberverwaltungsgericht Münster klar begründet, was in diesem Zusammenhang verfassungswidrig ist und was nicht. Es komme darauf an, ob man damit „politisches Ziel verfolge“ oder es allein in einer Diskussion über den Begriff benutze. Die Richter schrieben in der Begründung, als sie die Beschwerde der AfD ablehnte, vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden. Hier die entscheidende Passage des Urteils:
„Wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, ist aus Sicht der Verfassung unabhängig von seiner ethnischen Herkunft Teil des Volkes. Das schließt es nicht aus, auch bei deutschen Staatsangehörigen ‹ethnisch-kulturelle› Gemeinsamkeiten oder Unterschiede im Blick zu nehmen. Allerdings handelt es sich dabei nicht um rechtliche Kategorisierung und ist die Zugehörigkeit zu einer ‹ethnisch-kulturellen› Gruppe daher nicht objektiv bestimmbar, sondern hängt von dem jeweiligen Begriffsverständnis ab. Dementsprechend ist auch eine deskriptive Verwendung eines ‹ethnisch-kulturellen Volksbegriff› im Rechtssinn weder richtig oder falsch, sondern eine von persönlichen Wertungen abhängige Zustandsbeschreibung, die zum Beispiel soziologische, ethnologische oder historische Differenzierungen einbeziehen kann, Verfassungswidrig und mit der Menschenwürde unvereinbar ist allerdings die Verknüpung eines ‹ethnisch-kulturellen Volksbegriff› mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage gestellt ist“.
Der erste Teil des Satzes von Weidel im Mai im Bundestag wäre nach dieser Definition demnach rechtlich zulässig. Allerdings ist der zweite Satz der AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag problematisch: Das Grundgesetz legt den ethnischen Volksbegriff nicht zugrunde.
Der Streit ist auch innerhalb der AfD voll entbrannt. Für Weidels Parteifreund Maximilian Krah ist die Behauptung, dass das Grundgesetz vom Staatsvolk als ethnischem Volk ausgehe, sogar „verfassungswidrig“.
AfD-Politiker Krah: „Herr Kollege, das ist unzweifelhaft verfassungswidrig“
Nur wenige Tage, bevor Weidel ihr Volks-Verständnis im Bundestag zeigte, stritt der AfD-Bundestagsabgeordnete Krah aus Sachsen mit Jürgen Braun, der eigentlich in der AfD als gemäßigter Politiker gilt. Braun schrieb auf X:
„Das #Grundgesetz geht vom Deutschen #Volk als ethnischem Volk aus. Kaum ein Text enthält so häufig die Begriffe Deutsches Volk/Volk wie das GG. Art.116 stellt den dt. Staatsbürger neben den Volksdeutschen. Faesers grünlinker „#Verfassungsschutz“ stellt sich gegen das Grundgesetz!“
Krah antwortete:
„Lieber Herr Kollege, das ist leider falsch und bei der aktuellen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts unzweifelhaft verfassungswidrig. Das Volk des Grundgesetzes sind die Staatsbürger.“ Am Ende des Posts schließt er: „Würden wir es also darauf ankommen lassen, mit der von Ihnen vertretenen Rechtsauffassung durch die Instanzen zu ziehen, wäre das Urteil klar: Wir verlieren.“
CORRECTIV hat den Staatsrechtler Ogorek auch um eine Einschätzung zu Krah gebeten. Er schreibt: „Die verfassungsrechtliche Darstellung von Herrn Krah auf X war im Ergebnis zutreffend. Die Herleitung aus Art. 116 des Grundgesetzes, wie sie Herr Braun versucht hat, ist eine häufig zu beobachtende und inhaltlich grundfalsche Argumentationsweise. Die Norm erweitert den Begriff der Deutschen und eröffnet Zugangsmöglichkeiten in das Staatsvolk, ist aber keinesfalls ein Einfallstor für ethnisch-kulturelle Argumentationsmuster bezogen auf die Frage, wer Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist – und wer nicht.“
Die Debatte steht auch vor dem Hintergrund, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz Anfang Mai vorläufig zu dem Schluss gekommen ist, die AfD vor allem wegen der völkischen Ideologie als gesichert rechtsextremistisch einzustufen. Die AfD klagte gegen diese Bewertung, bis dahin ist die Bewertung auf Eis gelegt.
Weidels Parteikollege Krah positioniert sich jetzt gegen die völkische Ideologie. Das ist bemerkenswert, zumal er 2023 noch ein völkisches Manifest schrieb und den Begriff „Remigration“ wählbar machen wollte. Krah hat nach den Massenprotesten im Zuge der CORRECTIV-Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“ und nach der Entscheidung des Gerichts Münster eine Positionsverschiebung vorgenommen, wie er gegenüber CORRECTIV und anderen Medien sagte. Er stellt sich nun gegen das Konzept der „Remigration“ im Sinne des Kopfs der Identitären Bewegung Martin Sellner, das auch Staatsbürger umfasst, die Sellner als „nicht assimiliert“ bezeichnet.
Martin Sellners Konzept der Remigration „verfassungswidrig“
Genau dieses Konzept hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig als verfassungswidrig bezeichnet, als es das Verbot für das rechtsextreme Magazin Compact aufgehoben hatte:
„Dies gilt insbesondere, wenn derartige Ungleichbehandlungen gegen die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen. Das ist bei dem sog. „Remigrationskonzept“ der Fall, das ein Vordenker der Identitären Bewegung, Martin Sellner, entworfen hat. Diese Vorstellungen missachten – jedenfalls soweit sie zwischen deutschen Staatsangehörigen mit oder ohne Migrationshintergrund unterscheiden – das sowohl durch die Menschenwürde als auch das Demokratieprinzip geschützte egalitäre Verständnis der Staatsangehörigkeit. Denn sie gehen von einer zu bewahrenden „ethnokulturellen Identität“ aus und behandeln deshalb deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund als Staatsbürger zweiter Klasse. Diejenigen, „die sich nicht assimilieren können oder wollen“, sollen zumindest durch Druck – insbesondere durch eine „Politik der De-Islamisierung“ – zur „Remigration“ in ihre Herkunftsländer bewegt werden.“
Im Januar 2024 hatte CORRECTIV gezeigt, dass Sellner im November 2023 in Potsdam im Rahmen der Vorstellung eines „Masterplans“ die „Remigration“ für „nicht-assimilierte Staatsbürger“ über „Anpassungsdruck“ wie „maßgeschneiderte Gesetze“ als „Jahrzehnteprojekt“ vorschlug. Bei der Veranstaltungen waren auch hochrangige AfD-Funktionäre dabei. Aber auch auf der Webseite des rechtsradikalen Magazins Compact- stellte Sellner vom November bis Dezember das Konzept der „Remigration“ in mehreren Videos vor.
In einem der Videos sagt Sellner: „Remigration ist nicht nur Abschiebung von Illegalen, sondern ein großes, umfassendes Konzept, das sowohl Asylanten, also Asylbetrüger, Ausländer als auch nicht-assimlierte Staatsbürger im Fokus hat. Die in unserem Land ein großes Problem darstellen.“ Kurz vor dem Jahreswechsel 2023 sagte Sellner in einem weiteren Video, dass für die „Remigration“ fünf bis sechs Millionen „nicht-assimilierte Staatsbürger“ in Frage kämen.
Über die Gründe von Krahs Positionswechsel kann nur spekuliert werden. Der AfD-Politiker steht wegen seiner Haltung zu Russland und vor allem seiner China-Kontakte und den Spionagevorwürfen gegen seinen Mitarbeiter aus dem EU-Parlament unter Druck. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat die Aufhebung der Immunität des Bundestagsabgeordneten beantragt. Will Krah mit der Richtungsänderung nur das Verbotsverfahren abwenden, oder ist es Teil eines innerparteilichen Machtkampfes?
Streit über „Remigration“ in der AfD
Seither geht es rund in der Partei. Im Sommer 2023 veröffentlichte der völkische Verleger Götz Kubitschek zwei Bücher, die beide das völkische Konzept der „Remigration“ behandelten, eins von Maximilian Krah und eins von dem Rechtsradikalen Martin Sellner. Der Verleger hoffte ausdrücklich, das Konzept von Sellner bis zu Jahresende in der Öffentlichkeit zu etablieren. Krah war damals gerade zum Spitzenkandidat für die EU-Wahl gewählt worden.
Nachdem die CORRECTIV-Recherche offenlegte, dass Sellner mit Remigration auch Staatsbürger meinte, übernahm die AfD zwar im Programm für die Bundestagswahl im Januar 2025 den Begriff, definierte ihn aber so um, dass er lediglich nur als Synonym für Abschiebung stand. Die Partei verwendet diesen Begriff in ihrem Wahlprogramm zwar nur für eine Verschärfung des Asyl- und Aufenthaltsrechts, und nicht wie Sellner pauschal für mehrere Gruppen, darunter auch für Staatsbürger mit migrantischem Hintergrund. Allerdings ist der Begriff „Remigration“ kaum von der völkischen Aufladung durch Sellner, aber auch durch AfD-Politiker wie Björn Höcke sowie anderen, zu trennen. Letzte Woche strich die Bundestagsfraktion den Begriff aus einem Positionspapier. Der Dortmunder Bundestagsabgeordnete, Matthias Helferich, wurde diese Woche aus der Partei geworfen. Helferich gehört zu einem der Propagandisten des Konzeptes der „Remigration“, sehr nahe an dem Konzept von Sellner.
Innerhalb der Partei ist dieser Richtungsstreit nicht entschieden. Weidel lässt in Reden im Bundestag ein völkisches Verständnis durchklingen. Der AfD-Chef von Thüringen, Björn Höcke, empfiehlt in den sozialen Medien das Buch von Martin Sellner. Der AfD-Abgeordnete Rene Aust im Europaparlament will demonstrativ an dem Begriff der „Remigration“ festhalten. Er bezieht sich auf die Definition des Wortes, wie sie im Wahlprogramm steht, in dem es lediglich ein Synonym für Abschiebung sei. „Remigration bleibt“ schreibt der innerparteiliche Konkurrent von Krah am 09. Juli 2025 auf X.
Verfassungsfeindlichkeit muss laut Gerichten nicht im Programm stehen
Die von Krahs angestoßene Debatte wird auch in den deutschsprachigen Medien diskutiert. Der ehemalige SPD-Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern, Matthias Brodkorb, analysierte diese Woche in der Neuen Zürcher Zeitung die Debatte über „Remigration“ und völkische Ideologie. Darin nimmt Brodkorb die AfD in Schutz. „Der Kampf für den Erhalt „deutscher Kultur“ sei nur dann verfassungswidrig, wenn zugleich „die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen infrage gestellt“ werde. Es gibt keinen einzigen AfD-Beschluss, dem dieses Ziel zu entnehmen wäre.“
Mehrere Gerichtsurteile zeigen allerdings, dass die Verfassungsfeindlichkeit nicht im Programm stehen müsse. Es reicht, wenn viele Mitglieder oder Funktionäre einer Partei so reden und die Menschenwürde systematisch missachten. Das Oberverwaltungsgericht Münster schreibt dazu:
„Die große Anzahl der gegen Migranten gerichteten Äußerungen, mit denen sie auch unabhängig vom Ausmaß ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft systematisch ausgegrenzt und trotz ihrer deutschen Staatsangehörigkeit ihre vollwertige Zugehörigkeit zum deutschen Volk in Frage gestellt wird, legt aber nahe, dass jedenfalls maßgebliche Teile der Klägerin bei entsprechenden politischen Mehrheiten auch Maßnahmen ergreifen würden, die deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund aufgrund ihrer Abstammung diskriminieren, auch wenn sich die konkreten Ziele zum Beispiel im Hinblick auf das Wahl- und Aufenthaltsrecht nicht feststellen lassen.
Dafür ist wiederum nicht erforderlich, dass die Klägerin sich offen zu verfassungswidrigen Zielsetzungen bekennt. Soweit Äußerungen von Funktionären, Mitgliedern und Anhängern einer Partei die Menschenwürde Dritter nicht nur vereinzelt beeinträchtigen, sondern systematisch verletzen und missachten, kann auch auf die Verfassungsfeindlichkeit der politischen Ziele dieser Partei geschlossen werden. Wie das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden hat, stellt sich als derartige Verhaltensweise insbesondere die undifferenzierte, agitatorisch angelegte Zuweisung der Verantwortlichkeit für Missstände an Ausländer und Asylsuchende dar, die – insbesondere in Verbindung mit erniedrigenden Bezeichnungen oder unangemessenen und unhaltbaren Vergleichen – den Zweck verfolgt, beim Zuhörer Hass oder Neidgefühl hervorzurufen, und generell geeignet ist, den Boden für unfriedliche Verhaltensweisen gegenüber den Betroffenen zu bereiten.“
Das Verwaltungsgericht München entschied im Sommer 2024, dass die AfD weiter vom Verfassungsschutz beobachtet werden darf. Ein Grund war, dass sich deren Funktionäre so sehr an das Konzept der Remigration angenähert haben, wie es von Sellner vertreten wird, und Staatsbürger einschließt.
Die Richter aus München gehen in der Begründung auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1952 ein, das die Vertuschung der Verfassungsfeindlichkeit klar benennt: „Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1952 festgestellt, dass im modernen Staat Machtkämpfe mit dem Ziel, die bestehende Ordnung zu beseitigen, immer weniger offen und mit unmittelbarer Gewalt, sondern vielmehr in steigendem Maße mit den schleichenden Mitteln innerer Zersetzung geführt werden. Offen und mit Gewalt durchgesetzt werden die verfassungsfeindlichen Ziele dann erst, nachdem die politische Macht bereits errungen ist; sie werden zuvor aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts daher „naturgemäß“ nicht klar und eindeutig verkündet“.
Das Verwirrspiel von Martin Sellner: Drei Schritte vor, zwei zurück
Martin Sellner hat selbst ausdrücklich davon gesprochen, dass er verwirren will, um den Raum des Sagbaren zu öffnen.
Nach der Geheimplan-Recherche 2023 stellte Sellner seinen Vortrag aus Potsdam in einem Video nach und sagte unter anderem: „Das ist der Rahmen des Sagbaren. Ich habe das mit Globalismus und Patriotismus beschrieben und da gibt es Begriffe und Ideen, die populär sind. Dann sensible, akzeptable, radikale, undenkbare Begriffe im linken Bereich wie im rechten Bereich. Die Linken versuchen ständig, ihre Begriffe und Reden zu normalisieren. Das Gendern war zuerst absurd und jetzt ist es Normalität. Begriffe wie Enteignung, mit denen beginnt man jetzt schon zu spielen. Man baut sie auf und dann wiederholt man sie. Klassische Taktik drei Schritte vor, zwei zurück, bis diese Begriffe von undenkbar radikal akzeptabel, sensibel bis populär und Realpolitik geworden sind.“
Die Übernahme des Tarnbergiffs der völkischen Ideologie „Remigration“ in das Wahlprogramm der AfD könnte als eine solche Strategie der „Drei Schritte vor, zwei zurück“ gesehen werden. Zwar wurde das Wort offiziell anders definiert. Der Begriff löst bei der Anhängerschaft im völkischen Lage aber ein Kopfkino aus, das an das Konzept Sellners erinnert.
Das Gericht in Münster hat diese Strategie erkannt, als es die Aussagen von Höcke zu diesem Wort analysierte: „Wenn Björn Höcke die ‹geordnete Rückführung, der hier nicht integrierbaren Migranten in ihre ursprünglichen Heimatländer› als ‹gesamteuropäische Remigrationsprojekt› bezeichnet oder davon spricht, dass „langfristig (…) die Auflösung Der Parallelgesellschaften sowie die Remigrationsprogramme, die natürlich De-Islamisierung inkludieren, auf der Tagesordnung“ stehen, beschränkt sich die Forderung nach „Remigration“ nicht auf Ausländer ohne Aufenthaltsrecht, sondern legt die Formulierung nahe, dass auf lange Sicht auch deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund Deutschland verlassen sollen, wenn sie kulturell nicht integriert sind.“
Redigatur: Martin Böhmer